Meine kleinen Geschichtchen

Jetzt stehe ich hier. 2400 m über dem Tod.
Wenn ich die letzten Wochen ändern könnte, würde ich es tun. Aber ich kann es nicht. Ich kann nicht ändern, was passiert ist. Das kann niemand!
Ich würde alles geben, was mir noch geblieben ist, um wenigstens etwas zu ändern. Um IHN wenigstens noch einmal lachen zu sehen. Nur einmal...
Bitte, verzeih mir!
Mit diesem letzten Gedanken im Kopf fiel ich, fiel fiel....
Dann: Schwärze.

Ich schreckte hoch.
Ich zitterte am ganzen Körper und Schweiß lief mir in einer feinen Linie über den Rücken.
Nur ein Traum... dachte ich, um mich zu beruhigen.
Nur ein Traum.. langsam setzte ich mich auf. Meine Beine baumelten über den Bettrand. Heute War Samstag. Samstag der 6.9.2012 heute war mein Geburtstag.
Ich war fünfzehn, endlich!
Ich stand nun auf und zog mich an. Dann ging ich runter.
Niemand war da. Wie immer...
Es war totenstill und ein eisiger Luftzug wehte durch den großen Raum, der mein Zuhause da stellte. Es war nie besonders warm aber im Winter konnte es eisig werden.
Noch immer zitterte ich, aber der Schreck hatte sich etwas gelegt.

Becks bewarf mich mit einem Stofftier. Ich kicherte. Meine beste Freundin war echt albern. Sie sammelte Kuscheltiere. Und zwar alle, die sie süß fand! Von Diddl bis hin zu komischen Manga Figuren. Ihr ganzes Zimmer quoll über davon! Und sie benutzte sie als Waffe gegen alles und jeden.
Ich musste wieder losprusten. Dann kam mir der Gedanke, dass wir langsam losgehen sollten, wenn wir vor Abenddämmerung wieder da sein wollten. Das fand anscheinend auch Becks, denn sie hörte auf, mich mit Pokémon zu attakieren und stand auf, was sich bei den ganzen Kuscheltieren auf dem Boden, sehr schwierig gestaltete, aber sie schaffte es und ging zur Tür. Als sie diese öffnete, wurde mir wieder bewusst, was ich zwischen all den warmen, flauschigen Viechern vergessen hatte. Draußen war es kalt. Schon jetzt musste man sich dick einpacken, damit einem nicht die Zehen abfielen.
Also stand ich mit einem Seufzer auf, nahm mir meine Jacke und wir gingen los. Wir wollten ins Kino, dazu mussten wir aber erst mal in die Innenstadt und um dorthin zukommen, mussten wir durch das dunkelste und gefährlichste Viertel der Stadt. Als wir einen Block hinter uns gelassen hatten, spürte ich ein kribbeln im Nacken. Automatisch ging ich schneller und schaute mich um. Nirgendwo sah ich etwas oder jemanden. Nichts regte sich und es war so still, dass ich meinen Herzschlag hören konnte.
Mein Puls raste und ich hatte das Gefühl, mein Herz müsse mir gleich aus der Brust springen, so schnell flatterte es.
Ich achtete nicht mehr auf Becks, die irgendeinen leisen Fluch ausstieß, den ich nicht verstehen konnte, sondern rannte einfach weiter. Immer schneller und schneller bis ich hinter mir plötzlich einen Schrei hörte. Ich wirbelte herum und sah noch meine Freundin, als sie mich anstarrte und zu Boden ging. Unter ihr bildete sich eine große, rote Blutlache. Ich schrie, schrie, schrie. Doch da war niemand! Da war niemand der ihr das hätte antun können! Jetzt wurde ich wütend. Da war doch niemand! Verflucht!
Ich rannte zu Rebecka, die nun komplett regungslos auf dem kalten Boden lag. Ich weinte, wollte auf irgendetwas einschlagen. Ich kauerte mich neben sie und schluchzte und schluchzte.
Als ich ein Geräusch hörte, sah ich auf. Da war jemand. Ich wischte mir die Tränen ab, durch die ich nur verschwommene Gestalten erkennen konnte. Und dann stockte mir der Atem. Jetzt wusste ich, was Becks so schreien ließ. Ich weiß, wieso sie mich so angestarrt hatte, denn da, mir gegenüber, stand Ich selbst.
Mein zweites Ich starrte mich an und in Ihren, Meinen Augen, war nichts nettes, nichts gutes, kein Gefühl. Das war nur eine Hülle.
Und dann starb ich.
Ich starb. Einfach so, ohne etwas getan oder gesehen zu haben, starb ich.

„Hepp! Hepp! Hepp! Hepp!“
Die Stimmen dröhnten in meinem Schädel, als ich die Flasche abermals ansetzte und weitere große Schlucke trank.
Alle jubelten als ich wieder absetzte und die lehre Flasche hochhielt. Ich sah mich in dem kleinen, dunklen Raum um und fragte mich, wann meine Eltern wohl wieder nach Hause kamen, als ich den Blick über die herumliegenden Glasflaschen und ausgedrückten Joints schweifen ließ.
Ich fragte mich, was sie denken würden, wenn sie mich so sahen und was sie dachten, wenn sie zurückkamen und dieses Chaos sahen.
Auf einmal breitete sich in meinem Hirn und in meinem ganzen Kopf eine seltsame, dumpfe Ruhe aus. Mein Griff um die Whisky Flasche lockerte sich und sie fiel zu Boden. Meine Arme kribbelten, wurden taub und hingen schlaff herab. Während die Gruppe um mich immer noch grölte und mich nicht weiter beachtete, sank mein Kopf wie in Zeitlupe auf den Tisch. Alles um mich herum wurde unscharf und kam mir plötzlich weit, weit weg vor.
Alles war wie durch Milchglas, unklar mit Schlieren. Langsam wurde mein Gehirn immer leerer und das ganze Zimmer kippte. Dann...
Alles schwarz.

„Er liebt mich“
„Er liebt mich nicht“
„Er liebt mich“
„Er liebt mich nicht“
„Er liebt mich“
„Er liebt mich nicht...“
Ich ließ die zerfledderte Blume ins Waschbecken fallen.
Ich wusste, es war albern. Meine Freundinnen verdrehten nur noch die Augen darüber, aber für mich war es echt. Noch nie war „Er liebt mich“ herausgekommen. Noch nie! Egal wie oft ich es probierte.
Wenn ich an IHN dachte, ließ mein Herz ein klägliches Wimmern hören , das einem Todesschrei gleichkam. Ich liebte ihn. Wollte, dass er mich liebte. Und war doch zu schwach. Ich war hier fehl am Platz. Hier, in dieser Welt. In dieser Zeit. In diesem – meinem – Leben. Es würde nie jemanden geben, auf den ich mich verlassen konnte. Nie würde es jemanden geben, dem ich vollkommen vertraute und der mich verstand. Ich stand nun hier. In der einen Hand die Rasierklinge, in der anderen...nichts. Es gab keinen Brief, keinen letzten Wunsch. Nur mich und diese Rasierklinge. Nichts war mehr wichtig. Ich schaute mein Spiegelbild an. Hellblaue Augen schauten unter dunkelbraunen Wimpern zurück. Mein langes, glattes Haar, hatte sich um meine Schultern gelegt und sah aus wie ein Umhang. Ich lächelte. Ein Umhang, ja das war der Tod. Ein dunkler, warmer Umhang, der einen einhüllte, wenn man alleine war. Schon einmal war ich ihm begegnet, doch nicht bereit, mich von ihm einhüllen zu lassen. Jetzt war ich es. Vollkommen. Ich wollte ihn um mich legen und so fest zuziehen, dass niemand mehr an mich herankam.
Ich hob die linke Hand, in der ich die Klinge hielt. Ich setzte sie an meinem Unterarm, an der Puls Schlagader an und drückte sie langsam tiefer in mein Fleisch, bis das Blut spritzte. Ich hatte keine Zeit, mir den anderen Arm vorzunehmen, so schnell wurde mich schwarz vor Augen. Meine Knie gaben nach und ich sackte auf den weißen Fliesen zusammen. Alles was ich sah, war rot auf weiß. Und das war auch das letzte, was ich sah, Bevor ich von dem Umhang eingehüllt wurde. Dick. Schwer. Und doch so Eiskalt...

Keine Ahnung.
Ich weiß es nicht.
Verflucht noch mal!
Was wollt ihr von mir?
Ich habe euch nie etwas getan!
Wieso kommt ihr zu mir?
Beschuldigt mich!
Beleidigt und beschimpft mich, wenn doch eigentlich ihr die Verräter seit?
Wenn ihr mich doch verachtet und verspottet, hasst ihr euch dann gegenseitig auch so?
Dass ihr euch gegenseitig vor mir beschuldigt?
Ich weiß doch, dass ich euch egal bin!
Ihr müsst nicht versuchen, es vor mir zu verbergen.
Ich weiß es!
Es ist offensichtlich!
Wenn ihr mich nicht mögt, geht mir doch einfach aus dem Weg.
Das macht es mir leichter euch nicht zu hassen.
Ich will euch nicht hassen. Das wollte ich nie!
Ihr lasst mit keine Wahl!
Ich hasse euch nur, weil ihr mich hasst!
Wäre es anders, kämt ihr jetzt nicht zu mir, um euch zu entschuldigen, um zu sagen, dass es euch leid tut.
Ihr könnt mich mal!
Nochmal werde ich mich nicht von euch verarschen lassen!
Macht was ihr wollt.
Aber macht es ohne mich!