Amok..

Herr Meier saß auf dem Lehrerstuhl und schrieb etwas auf. Ich schauderte. Ich konnte Herr Meier nicht ausstehen! Er war ein Ungeheuer und schon allein seine Stimme machte mir Angst. Die Stimme des Lehrers war übernatürlich hoch! "Du! Schreiben!", piepste er, während ich ihn ungläubig anstarrte. Seine Stimme riss mich aus dem Gedanken, das er vom Mars auf die Erde entführt wurde. Wir hatten die Aufgabe etwas zu schreiben, dabei durften wir Musik hören. Meine beste Freundin Sarah und ich hörten zusammen Musik. Gerade lief das Lied 'The Book of Love'. Ach, mein Lieblingslied. Ich nahm meinen blauen Kulli in die Hand und wollte anfangen zu schreiben, doch ich hatte keine Ahnung über wen oder was. Ich saß auf meinem Platz mit einem Stift in der Hand und einem Kopfhörerstöpsel im Ohr. Trotz des inspirierenden Lieds wollte mir einfach nichts einfallen. Mit einem kurzen Blick auf Sarahs Blatt stellte ich fest, sie hatte Inspiration! Sie hat schon ihre zweite Seite angefangen. Ich sah durch die Klasse. Vorne saß Johanna und flüsterte Lina etwas zu während sie laut aufkicherte. Johanna kommt aus Thailand und immer wenn sie lacht - und das ist immer - werden ihre Augen zu lustigen gebogenen Schlitzen. Jedesmal muss ich auch lachen. Sarah saß in der Nähe von den beiden und starrte auf ihr Handy. Wahrscheinlich ein Bild von Mario Götze. Hinter ihr saßen die Jungs welche ihren Kopf auf den Tisch gelegt hatten und etwas auf den Tisch malten. Hinter denen saßen Nora und Natalie. Natalie schrieb wahrscheinlich gerade wie toll ihre Zukunft werden würde. Nora hingegen spielte wahrscheinlich wieder Temple Run. Neben den beiden saßen Manuel und Marwin. wie immer lachten die beiden, nach deren Tisch folgte der Gang und dann mein und Sarahs Tisch. Ich sah hinter mich wo Aiche und Maxi saßen. Aiche schrieb über ihre Zukunft und winkte mich zu ihr um mir ihre Zukunft zu erzählen. Es ging darum, das Aiche ihren Lieblingssänger Murat Boz heiraten wird und die beiden süße türkische Kinder bekommen werden. Ich rollte nur mit den Augen. "Alles klar und was ist mit Monsieur Vall ?!", ein Grinsen zog sich über mein Gesicht, während Aiche rot wurde. "Affäre.", antwortete sie nur. Herr Vall ist ein Lehrer an unserer Schule für den Aiche ziemlich schwärmte. Sie fand ihn .. heiß! Das war er für meinen Geschmack nicht so, okay, schlecht sah er nicht aus, aber heiß? Außerdem ist der locker 45 und Aiche ist 14. Zu Aiches Freude fahren wir aber Ende September mit Herr Vall auf Kursfahrt in die Stadt der Liebe, Paris!
Endlich fiel mir etwas ein. Ich schrieb über Aiche und Herr Valls verbotene Liebe. Meine Geschichte fing damit an, das Aiche nachsitzen musste und die beiden sich näher kennenlernte, weiter ging es das die beiden trotz Herr Valls Ehe eine Affäre begannen. Natürlich durfte niemand davon wissen, Schüler- Lehrer Affären dürfen laut dem Schulgesetz gar nicht anfangen und trotzdem ist es zwischen den beiden passiert. Sie hielten es geheim, doch Sarah und mir erzählte sie davon. Herr Vall ließ Aiche oft Nachsitzen, damit die beiden Zeit miteinander verbringen konnten. Die Geschichte gefiel mir gut und fröhlich schwang mein Stift zu jeder nächsten Zeile. In meiner Geschichte waren wir beim Abschlussball, wo Aiche und Herr Vall ihre Affäre bekannt gaben, Herr Vall sich von seiner Frau scheiden ließ und die beiden glücklich zusammenlebten. Als Herr Vall starb brachte Aiche sich ebenfalls um, um im Himmel mit Herr Vall zu leben. Stolz sah ich auf mein fertiges Werk und setzte noch meine Unterschrift ; Marie darunter. Sarah sah auf mein Blatt und las die Überschrift laut vor. "Verbotene Liebe.", las sie. Mein Blick glitt abgefuckt zu ihr. "Ja und ? Das ist eine Geschichte über die verbotene Liebe eines Lehrers und einer Schülerin." Sofort wusste sie was ich meinte und sah Aiche grinsend an. Ich sah kurz auf Sarahs Geschichte und ließ dannn einmal meinen Blick durch die Klasse 9b streifen. Einige scrieben, andere hörten die Musik so laut, dass sie zu meinem Tisch in der letzten Reihe schallte. Wieder andere flüsterten mit ihrem Sitznachbar. Alle hatten was zu tun. Wie ich manchmal Vertretungsstunden liebe! Plötzlich, ohne Vorwarnung erklang ein Signal, welches wir noch nie gehört hatten, aus dem Lautsprecher der an der Decke unserer Klasse befestigt war. Erschrocken zuckte ich zusammen, nicht nur ich. Die Klasse wurde unruhig und alle sahen einander erschrocken an. Dieses Geräusch war ein ohrenbetäubendes Piepen und eine Stimme sagte drei mal hintereinander : "A L, A L, A L." Mein Blick fiel auf Herr Meier. Seine Augen glitten hektisch von Seite zu Seite. Leise murmelte er etwas vor sich hin. Nach einer Zeit, wie aus einem Traum aufgewacht schüttelte Herr Meier sich und erhob sich schnell vom Stuhl. "Bleibt alle ganz still. Frau Lampe hat euch das schonmal erklärt. Ihr müsst sofort an die Wand, keine Unruhe. Schnell. Gleich ist er hier!", Herr Meier wieß uns zu einer Wand, gegenüber der Fenster. Niemand wusste warum wir das mussten oder eher gesagt was überhaupt los war. Doch plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ein Amoklauf. Ein Amoklauf bei uns an der Schule! "Was ist los, Marie?", fragte Sarah mich. Sie ist wohl noch nicht auf meine Vermutung gekommen. Ich sah während wir alle uns durcheinander zur Wand drängelten, meine Klasse an. Melissa klemmte sich panisch an Sophie, welche sich an Manuel klammerte. Als Melissa bemerkte das sie bei Sophie nicht gebraucht wurde, klammerte sie sich an Adian. Lina, Johanna und Rana fingen an zu heulen. Nora und Natalie ebenfalls. Sarah schnappte nach Luft, blieb trotzdem ruhig. Herr Meier eilte zu Tür und nahm seinen Schlüssel raus, zitternd suchte er den passenden Schlüssel. Endlich ein Schlüssel passte. Herr Meier drehte den Schlüssel hektisch, sodass die Tür zugeschlossen wurde. Alle aus der Klasse standen an die Wand gepresst da und taten nichts. Einige wimmerten leise, doch ich war ganz ruhig. Mein Blick ruhte in Richtung Tür und langsam, quieckend wurde die Türklinke runtergedrückt. Ein Rütteln war zu hören. Einige Mädchen schrien panisch auf. Ich verdrehte nur die Augen. Draußen war ein helles kratziges Schreien zu hören. "Sascha.", wisperte ich, sodass einige das hören konnten. Manche sahen mich kurz an und wechselten ihren Blick zur Tür.

Ein Schuss ertönte. Viele schrien laut auf. Herr Meier sah verschrocken auf und blickte zur Tür. Sascha stürmte plötzlich rein und schoss um sich. Ich sah wie in Zeitlupe eine Kugel an mir vorbeifliegen und mitten in Melissas Bauch. Melissa fiel nach hinten und ich hörte mehr Schüsse. Mein Kopf schwang zu den anderen. Sarah, Nora, Natalie und Johanna lagen auf dem Boden. Sophie und Manuel waren fest aneinander gedrückt und Sophie schluchzte in sein T- Shirt. Peng. Ich schrie so laut auf wie ich konnte. Aus Sophies Kopf floss Blut. Er hat Sophie mitten in den Kopf getroffen. Ich war irgendwo im Gewusel untergegangen. Ich hatte mir schon lange diesen Moment ausgemalt. Ja, ich habe es mir öfter ausgemalt und bevor Fragen aufkommen, einmal weil ich viel Criminal Minds gucke und einmal weil Sascha uns Mädchen aus der Klasse Mordrohungen per Facebook gemacht hat. Ich hab seit dem Tag jeden Tag das Haarspray meiner Mutter in der Tasche. Leider hatte ich es nicht in dem Moment in dem ich es unbedingt brauchte nicht in der Hand. Sascha sah mich an. Ich schluckte und Herr Meier rief laut. "Hör auf! Das hat doch ke.." Ein Schuss ist gefallen und er fiel zu Boden. Sein dicker Körper wurde schlaff. All die rote Farbe aus seinem Gesicht verschwand. Ich sah mich nach Sarah um. Nirgendwo war sie zu sehen. Sascha sah mit zuckenden Augen zu uns. Ich ging langsam ein Stück nach vorne. "Sascha.", lächelte ich. "Ich.. ich habe mir gedacht.. Vielleicht..", ich räusperte mich. "Es hat wirklich keinen Sinn. Du zerstörst dein ganzes Leben.", sagte ich mit klarer sicherer Stimme. "Doch, hat es!", schrie er mich an und richtete die Pistole auf mich. Kurz vorm abdrücken schloss ich meine Augen und ein Schuss ertönte. Mir passierte nichts. Ich bekam keinen Schuss ab, ich fiel nicht um. Langsam wagte ich es meine Augen zu öffnen. Ich sah einen großen Polizisten mit braunen Strubelhaaren und warmen Augen. Er erinnerte mich ein wenig an Spencer Reid von Criminal Minds. Er lächelte mich an. Ich konnte ihm nur einen dankbaren Blick zuwerfen und ein 'Danke' hauchen. Aus dem Klassenschrank war ein Rumpeln zuhören. Der Polizist richtete sofort seine Waffe darauf. Sarah kam daraus gestolpert. "Ich hab mich hier versteckt.", sagte sie und erstarrte als sie auf das Blutbad in unserer Klasse sah. Ein kleines Lächeln zog sich über mein Gesicht, niemand außer Sarah würde auf die Idee kommen sich in einem Schrank zu verstecken. Sie liest eindeutig zu viel 'Der Wolf und die sieben Geislein'. Mein Blick streifte ebenfalls einmal durch die Klasse. Aiche lag am Boden, schwer atmend, ein Schuss in den Bauch. Melissa war tot. Nora, Natalie und Sarah ebenfalls. Johanna atmete auch heftig ein und aus. Sophie lag am Boden und Manuel kauerte laut heulend über ihr. "Alle, die nicht verletzt sind sollen diesen Raum verlassen.", sagte der Polizist. Mit Tränen in den Augen verließ ich neben Sarah mit den anderen den Klassenraum. "Ich glaub es nicht! Sowas in unserer Klasse!" Michi sah mich an. "Du hattest wohl doch nicht so unrecht mit deiner Panik wegen den Morddrohungen." Ich nickte nur. Schweigend gingen wir aus dem Schulgebäude wo uns schon die Presse erwartete. Ein Journalist stürmte auf mich zu. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an. "Wie heißen Sie?", fragte mich der blonde Journalist. "Ähm.. Marie.", antwortete ich. Neben ihm stand ein Kameramann, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte, seine riesige Kamera war vor seinem Gesicht. "Wie geht es Ihnen? Sind Sie verletzt?" Als erstes regte mich dieses Siezen auf, dann aber auch noch diese Fragen. "Wenn ich verletzt wäre, dann wäre ich wohl nicht hier. Außerdem, wir kommen gerade aus einem Raum, indem ein Amoklauf stattgefunden hat und ich habe mit ansehen müssen wie einige meiner Freundinnen starben und sie fragen mich wie es mir geht? Mir gehts super!", fauchte ich ihn an. "Ich verstehe Ihre Wut. Wissen Ihre Eltern schon das Sie noch leben?" Ich schüttelte den Kopf und sah das bei Finn, Michi und Sarah auch Journalisten standen. "Marie! Marie!", hörte ich eine Stimme rufen. Ich sah in die Richtung aus der die Stimme kam. Meine Mutter. Sie stürmte auf mich zu und plötzlich liefen mir Tränen die Wangen herunter. Meiner Mutter ebenfalls. Sie nahm mich in den Arm und flüsterte mir unverständliche Worte zu. Der Journalist sagte etwas wie 'In so schlimmen Situationen, werden immer wieder neue wundervolle und rührende Momente geboren.' Plötzlich stürmten alle Journalisten zu unserer Schuldirektorin Frau Hamster. Ich weiß, Hamster ist ein beschissener Nachname. Meine Mutter ging neben mir aus dem Schulgelände raus. Sarahs Mutter war auch bei ihr. Ich sah noch wie Finn und Michi mit deren Eltern weggehen. Nein, falls ihr fragt. Die sind keine Geschwister. Finn ging mit seinen Eltern weg und Michi mit seinen. "Marie, komm, gehen wir nach Hause." Ich sah zu unserem Schulgebäude. "Ich muss wissen wie es Johanna und Aiche geht. Die beiden haben noch gelebt.", die letzten meiner Worte konnte man nicht mehr verstehen, weil ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ich fasste instinktiv nach meiner Kette und fühlte etwas nasses, ich sah auf meine hell lila Bluse. Sie war dunkelrot gefärbt. Wie kam das Blut dorthin? Natürlich, ich stand direkt neben Sophie, als sie ..
Endlich war ich zu Hause. Ich setzte mich auf mein Bett und mein Blick blieb starr in meinem Spiegelbild stehen. Ich sah auf die Blutflecken auf meiner Bluse und dann in mein schneeweißes Gesicht. Meine Wimperntusche war völlig verlaufen und meine Augen waren rot. Ich hatte den ganzen Weg im Taxi durchgeheult. Alles was diesen Tag passiert ist. Den 6. September. Mit meinem Kopf lehnte ich mich an die Wand und schloss die Augen. Ich sah Saschas Gesicht und wie die Kugel in Sophie's Kopf eindrang. Schreiend öffnete ich wieder die Augen und meine Mutter kam mit einer Tasse Tee herangeeilt. "Mama.", schluchzte ich und nahm den Tee entgegen. Ich sah in die Tasse, der Geruch des Chai Tees kam in meine Nase. Ich sah in in die Tasse. Ein Wassertropfen fiel herein, eine meiner Tränen. Der rote Chai Tee verwandelte sich in dickflüssiges Blut und ich warf die Tasse von mir weg. Ich hörte Manuels Schmerzensschrei und die panischen anderen Schreie meiner Klassenkameraden. Meine Mutter schimpfte kurz vor sich hin und machte die Scherben weg und putze den Tee von meinem Boden. Ich sah immer noch die entsetzten Gesichter meiner Mitschüler vor mir. Immer wieder. Jedesmal wenn ich die Augen schloss sah ich Bilder vom 6. September. Meine Mutter lächelte mich an und nahm mich in den Arm. "Willst du schlafen?", fragte sie mich. Ich schüttelte nur den Kopf. "Ich möchte etwas essen und mich umziehen." Ich knöpfte meine Bluse auf und legte sie ordentlich auf die Stuhllehne meines Drehstuhls. Ich öffnete meinen Kleiderschrank und nahm mir mein schwarzes Bambi T- Shirt herraus. Ich zog es schnell über und trottete in die Küche. "Marie. Erzähl mir was passiert ist.", sagte meine Mutter. "Nur, wenn du willst.", fügte sie hinzu. Ich seufzte kurz und setzte mich mit der Cookiepackung, die ich gestern Abend aufgebrochen hatte gegenüber von meiner Mutter an den Küchentisch. "Also, wir hatten bei Herr Meier Vertretungsunterricht und sollten Geschichten schreiben. Ich habe über Aiche und Herr Vall geschrieben. Plötzlich ertönte ein Geräusch aus dem Lautsprecher in unserer Klasse und wir sollten an die Wand gehen. Herr Meier schloss die Tür ab, aber Sascha schoss sie auf und dann kam er in unsere Klasse und erschoss einige. Darunter Nora, Natalie, Melissa, Sarah und Sophie. Aiche und Johanna wurden angeschossen.", kurz hörte ich auf zu erzählen und schluchzte vor mich hin. "Ist schon gut Marie. Alles ist gut.", beruhigte meine Mutter mich. "Nein! Nichts ist gut!", schrie ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.